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Läufer auf Zeit

DIE GESCHICHTE DER ERSTEN 9A ROUTE IM VAL DI LANDRO

by Matteo Menardi

Diese Geschichte beginnt am 11. Juni 2021, als ich den Bach überquerte, der am Dürrensee (Lago di Landro) entspringt und je nach Jahreszeit entweder Toblach erreicht oder im steinigen Flussbett versiegt. Während die milden Temperaturen die umliegenden Schneefelder zum Schmelzen brachten, war das Wasser noch eiskalt.
Die Einheimischen hatten mir von einer neuen Bohrhakenlinie am Pangea Felsen berichtet, von der sie sagten, sie sei die letzte ""mögliche"" Route in diesem Sektor. Vom ersten Abschnitt ""All In"" führte sie nach rechts über eine gelb-orange-graue Wand. Doch bevor ich mir Gedanken über die technischen Details der Kletterei machen konnte, musste ich die Wand zunächst erreichen ... was keineswegs einfach war.
Der Sturm Vaia hatte in diesem Gebiet so stark gewütet, dass der Zustiegsweg fast nicht mehr zu erkennen war. An jenem Tag im Juni 2021 stieg ich also mit meinem Bruder Marco hinauf, zwischen den umgestürzten Bäumen des ehemaligen Waldes und über Geröllfelder, bis wir einen Felsvorsprung erreichten, wo wir eine Pause einlegten und nach Norden in Richtung Toblach und Pustertal blickten.
Von hier aus waren es nur noch ein paar Schritte bis zum Einstieg in die Wand - eine dramatische Kulisse mit all den umgestürzten Bäumen, die die Seillängen in dieser Felswand umgaben.

Als ich auf dem Felsen saß, verbrachte ich einige Zeit damit, über mein Ziel nachzudenken. In Gedanken ging ich die geplante Kletteraktion durch und überlegte mir, wie ich die einzelnen Seillängen meistern könnte. Die von Hannes Pfeifhofer eingerichteten Bohrhaken waren dort geblieben und warteten darauf, genutzt zu werden. Die Route beginnt, wie erwähnt, bei ""All In"" und folgt einem äußerst direkten Verlauf die Wand hinauf. Der Sportkletterer Alexander Megos war bereits, allerdings an einem eiskalten Tag, vor mir hier und bestätigte, dass es sich tatsächlich um ein sehr schwieriges Projekt handelt.
Aber nun Schluss mit den theorethischen Überlegungen! Ich nahm meinen Klettergurt, das Seil und die Expressschlingen und verbrachte den Rest des Tages damit, die Seillängen zu erkunden. Ich investierte viel Zeit darin, jedes Details zu analysieren und versuchte, jeden einzelnen Zug zu verstehen. Ich erinnere mich, dass ich am Ende des Tages zufrieden nach Hause fuhr, denn ich hatte zumindest das Seil bis zum Gipfel gebracht. Aber nicht nur das. Ich hatte auch das Privileg, ein neues Projekt auszuprobieren, das relativ nah an meinem Wohnort lag. Natürlich befand ich mich in nahezu unberührtem Terrain, in dem es Felsen zu säubern und Züge zu entwickeln galt, aber ich wusste, dass ich nichts lieber wollte, als zu dieser Felsrinne in mehr als 1.700 Metern Höhe zurückzukehren.

EINE FIXE IDEE

Nach dem ersten Versuch konnte ich an nichts anderes mehr denken. Jeden Tag stellte ich mir vor, im Val di Landro zu sein, malte mir die Bewegungen aus und versuchte, mir die Varianten einzuprägen. Ich kehrte einmal, zweimal, dreimal und sogar häufiger an die Wand zurück. Ich lernte die Abläufe und verstand, wie ich sowohl das Sichern und die Stürze in dieser sehr ausgesetzten Wand beherrschen konnte. Jeder neue Versuch schien der richtige zu sein, und jeder sichere Zug war erfolgversprechend. Bis zu diesem letzten Versuch: Der letzte Sturz der Saison unterhalb der Bandschlinge, als ich versuchte einen Dyno zu machen, also den nächsten Griff anspringen wollte. Dabei hielt ich mich mit der linken Hand als Zwischenhalt an einem kleinen, scharfen Griff, während ich mit meiner rechten Hand einen spitzen Griff aus diesem gelblichen Gestein packte, bis ich endlich nach dem sicheren Halt weiter links greifen konnte.  
Ich hatte keine Kraft mehr um weiterzumachen und musste erst einmal meine Batterien wieder aufladen. Ich musste daher abbrechen und das Projekt zumindest für eine gewisse Zeit vergessen. Am 15. Oktober 2021 unternahm ich den letzten Versuch vor dem Winter. Die Luft war bereits kalt und die Sonne schien nur für ein paar Stunden in das Couloir, bevor der Berg die angenehmen Sonnenstrahlen abschirmte. Während der Schlechtwetterphase, wie man den Winter nennt, hatte ich Zeit, mir neue Inspirationen zu holen, um im nächsten Sommer wieder von vorne anzufangen ... Ich wusste allerdings noch nicht, dass es dann sehr heiß werden würde.

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Im Mai begann ich eine erste Ahnung davon zu bekommen, wie ich die freie Zeit im Jahr 2022 verbringen würde, nämlich mit der Begehung von ""Claudio Cafè"" am Fels Terra Promessa in Arco. Eine unglaubliche Route, sehr exponiert über dem Sarcatal. Seit Mitte Juli arbeitete ich im Fremdenverkehrsbüro in der Nähe meines Wohnorts, so dass ich meine Tagsplanung umorganisieren musste. Jede freie Minute bedeutete für mich Training an meinen heimischen Felsen und, wenn das Wetter es zuließ, an meinem Projekt. Zusammen mit meinem Freund Julian, einem großartigen österreichischen Kletterer und Bergsteiger, verbrachte ich aufregende Tage im Val di Landro, und er half mir in dieser Zeit dabei, die notwendige Zuversicht zu finden, um an meiner fixen Idee festzuhalten.
Ich erlangte schnell die Ausdauerkraft, die nötig war, um mein Ziel zu erreichen, und begann, mir alternative Lösungen für die kritischen Schlüsselstelle auszudenken. Am Ausstieg fand ich anstelle des Dyno, des Sprungs, einen kleinen Aufleger als Halt für meinen linken Fuß, der es mir ermöglichte, ein Drop-Knee zu machen, also mein Knie so einzudrehen, dass das Verspannen zwischen den Haltepunkten möglich war. Durch dieses Manöver verstand ich sofort, wie ich meinen Schwerpunkt anheben und mich zu dem Griff strecken konnte, an dem man endlich Luft holen und die Sicherung einhängen kann. Und so begann ich also Mitte September mit meinen ersten guten Versuchen!
Ich hatte wieder das gleiche Gefühl wie letztes Jahr, als sich jeder Versuch so anfühlte, als könnte ich die Route freiklettern. Mir war nun jeder Zentimeter in dieser Wand vertraut und ich wollte auf keinen Fall, dass mich ein weiterer Winter vom Erreichen meines Ziels abhielt.

AM AUSSTIEG

Meinen letzten Versuch unternahm ich am 7. Oktober 2022. Es war ein kühler Tag, aber sonnig, trocken und windig. Kurzum, ein typischer Herbsttag. Wie bei den anderen Versuchen verspürte ich schon beim Klettern, dass etwas anders laufen könnte. Die Griffe fühlten sich für mich leicht an, auch der etwas schwammige Zangengriff im oberen Teil. Ich streckte mich nach links zu dem Zwischengriff und dann zu dem nächsten vertikalen Halt. Den darauffolgenden runden Griff kletterete ich mit der rechten Hand auf Reibung und machte ein Drop-Knee, in dem ich mit meinem linken Knie sehr tief ging. Ich hielt den Zwischengriff fest, streckte das rechte Bein aus und senkte das linke Bein auf den soliden Stand. Ich atmete durch, versuchte konzentriert zu bleiben, und streckte mich bis zu einem letzten brüchigen Griff auf der linken Seite, gefolgt von den letzten technischen Bewegungen im vertikalen Bereich. Dort hielt ich kurz inne, am Ausstieg dieser Route, und starrte ins Leere. Im Norden lag das Pustertal, im Süden Monte Piana. Ich brauchte einen Moment, bis ich es kapiert hatte, dann aber schrie ich vor Freude und Anspannung, dass es durch das ganze Tal hallte. 
Hier zeigt sich meine Leidenschaft für das Klettern, ich schließe ein Kapitel meiner Geschichte dort ab, wo sie entstanden ist, und plötzlich wird mir alles klar: ""Corridore nel Tempo"", das soll der Name der Route sein. Wörtlich übersetzt ""Läufer auf Zeit"", eine einzige, aufregende Abfolge von Bewegungen ohne Unterbrechung. Die erste 9a in der Region.

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