EINE GROSSE HERAUSFORDERUNG BEI EXTREMEN TEMPERATUREN
"Temperaturen, bei denen man Eier kochen kann." Stefano Gregoretti wiederholt diesen Satz mehrmals und denkt dabei an das Death Valley, einen der trockensten und heißesten Orte der Welt. Eine Weite aus Staub und Felsen, die sich über 13.518 Quadratkilometer im amerikanischen Westen erstreckt. Wir befinden uns 86 Meter unter dem Meeresspiegel, an einem Ort, an dem die Temperaturen im Sommer täglich 50 Grad erreichen, mit Spitzenwerten von über 54 Grad. Nur nachts, wenn die Sonne hinter dem Horizont verschwunden und die Temperatur um etwa 13 Grad gesunken ist, kann man sich etwas erholen.
Niemand käme auf die Idee, sich freiwillig in eine solche Gegend zu begeben, es sei denn im Auto und mit voll aufgedrehter Klimaanlage. Keiner, außer dem Ultraläufer Stefano Gregoretti und seinem Partner Ray Zahab, die Anfang Juli 2022 beschlossen, etwas völlig Verrücktes zu tun: das Death Valley von Osten nach Westen zu durchqueren, und zwar im Laufschritt, ohne eine Pause einzulegen. Für die beiden Athleten war es nicht die erste derartige Aktion. Sie sind es gewohnt, sich unter extremen Wetterbedingungen großen Herausforderungen zu stellen. Im Laufe der Jahre haben sie schon einige der unwirtlichsten Gegenden der Welt durchquert, von Kamtschatka über die kalten Polargebiete bis hin zu den trockensten Gegenden der Erde.
Für ihr jüngstes Abenteuer nahmen sie nur das Nötigste mit: eine Shorts, ein T-Shirt, ein Stirnband, einen kleinen Rucksack und leichte Laufschuhe. Sie hatten 134 Kilometer Wüste vor sich, die sie Tag und Nacht entlang einer geraden, imaginären Linie zurücklegen mussten. "Wir wollten das Abenteuer, also haben wir beschlossen, die ausgetretenen Pfade und Straßen zu verlassen. Eine Strecke durch die Wildnis, auf der Suche nach den eigenen Grenzen und der Möglichkeit, diese zu überwinden. Vielleicht auch eine Antwort auf die vielen Fragen, die einem durch den Kopf gehen, wenn man sich so etwas vornimmt und umsetzt: Warum eigentlich? ". "Diese Frage wird mir oft gestellt, und jedes Mal muss ich innehalten und mich zwingen, über die Gründe nachzudenken, die mich zu solchen Unternehmungen treiben", erklärt Stefano. "Die ehrliche Antwort lautet: Ich weiß es nicht. Es ist einfach etwas, das man tut. Man braucht nicht immer einen Grund, um etwas zu tun. Es muss nicht immer alles klar und eindeutig sein. Dann bestünde die Gefahr, dass man kein Staunen im Hinblick auf das Unerwartete empfindet, dass man keinerlei Aufregung mehr beim Anblick dieser so imposante Natur verspürt."
DIE REISE ZUM MITTELPUNKT DER ERDE
In 34 Stunden ohne Unterbrechung liefen Stefano und Ray durch Canyons, sengende Ebenen und über wenig frequentierte Pfade von einem Ende des Death Valley zum anderen. "Ohne GPS wäre es sehr schwierig gewesen unseren Weg zu finden", sagt Stefano. Aber er ist sicher nicht der Typ, der nur dem digitalen Wegweiser folgt. "Wenn die Verbindung ausfällt oder etwas defekt ist, muss man sich schon zu helfen wissen ... und ich konnte auch nicht ständig mit dem Tracker vor den Augen laufen!"
Aus diesem Grund haben er und Ray vor ihrer Abreise die Gegend sorgfältig kartographisch studiert und die Strecke auf Papier aufgezeichnet, einschließlich der Höhenlinien, Koordinaten und Erhebungen. "Nachts habe ich mich zum ersten Mal in meinem Leben an den Sternen orientiert, als wären wir auf dem Meer. Mein Orientierungspunkt war der Nordstern, den ich leicht links von unserer Laufrichtung hielt." Dann überprüfte ich alle 20 Minuten den Kurs, um auf Nummer sicher zu gehen". Auf diese Weise wird die digitale Navigation zu einem Hilfsmittel für die Orientierung, aber sie ersetzt nicht die Fähigkeiten, die notwendig sind, um die unberührte Natur zu erleben.
Eine Umgebung, die so extrem ist, dass nichts dem Zufall überlassen werden kann. "Temperaturen über 50 Grad sind nicht zum Lachen. Ohne Wasser bist du am Ende." Stefano und Ray haben jeweils 40 Liter Wasser getrunken, "mehr als ein Liter pro Stunde." Um diesen Wasserbedarf zu decken, planten sie für die Durchquerung alle 20-25 Kilometer sogenannte Überlebensstationen ein. Mit Geländewagen erreichbare Stellen, an denen sie in den Tagen vor dem Lauf Vorräte deponierten. "Wir wählten die Orte so aus, indem wir die Zeit schätzten, die wir brauchen würden, um von einem Punkt zum anderen zu gelangen, wobei wir immer daran dachten, dass vor Ort alles Mögliche passieren kann." Auf manchen Abschnitten brauchte man bis zu sieben Stunden, um 20 Kilometer zurückzulegen. "In solchen Fällen muss man wissen, wie man sich einschränken kann, denn außer dem Wasser, das man bei sich hat, wird man dort keines finden."
"Man darf nicht einmal daran denken, Wasser zu verschwenden, nur um Kopf und Körper abzukühlen und sich dadurch zu erfrischen. Die einzige Möglichkeit, "cool" zu bleiben, besteht darin, alles im Vorfeld genau zu berechnen. Man muss die richtige Bekleidung auswählen und nichts dem Zufall überlassen. Ein Konzept, das in dieser Geschichte bereits mehrfach erwähnt wurde, das aber besser als jeder andere Satz Stefano's Einstellung zu extremen Situationen erklärt. "Obwohl ich tagsüber immer wieder LSF 50 auftrug, hatte ich auf der rechten Körperhälfte einen starken Sonnenbrand", erinnert sich Stefano. "Was die Kleidung angeht, fiel die Wahl auf T-Shirts und kurze Hosen, die besonders atmungsaktiv sind." Unter diesen Bedingungen ist es wichtig, keine eng anliegende Kleidung zu tragen, erklärt Stefano. "Normalerweise trage ich Laufshirts in Größe L, aber bei diesem Projekt trug ich ein XXL-Shirt, um sicherzustellen, dass zwischen der Haut und dem Stoff ausreichend Ventilation stattfinden kann. Mit einem eng anliegenden Shirt hätte ich viel mehr unter der Hitze gelitten, so, als würde meine Haut in Flammen stehen."
Am Ziel dann ein breites Lächeln und, endlich, ein kühles Bad. Das unglaubliche Gefühl etwas geschafft zu haben, das man sich in einer lauen Mittsommernacht ausgemalt und vorgestellt hat. Und warum? Um sich selbst weiter zu pushen, um zu zeigen, dass es möglich ist, dass der Körper unglaubliche Dinge leisten kann, wenn man ihn mental richtig vorbereitet. Aber auch, weil man ab und zu aufhören muss zu denken und etwas tun muss, um sich wirklich lebendig zu fühlen.